Kunstchronik der Stadt Steyr – Romanik

(Architektur, Bildhauerei und Malerei)

Von Josef Ofner

Wie die Überschrift andeutet, handelt es sich bei dieser Arbeit keineswegs um eine Kunstgeschichte der Eisenstadt. Eine solche zu schreiben, ist die Aufgabe des Kunsthistorikers. Hier geht es vielmehr darum, die zahlreichen, vorwiegend in den Archivalien des Steyrer Stadtarchivs und in der einschlägigen Literatur vorhandenen Notizen, die ich in jahrelanger Sucharbeit gesammelt habe, in chronologischer Zusammenfassung für eine künftige Kunsttopographie der Stadt Steyr bereitzustellen. Das Hauptgewicht wurde demnach nicht auf die kunsthistorische Wertung, sondern auf die Erforschung der rein geschichtlichen, die städtischen Kunstdenkmäler betreffenden Daten gelegt. Auf eine Vollständigkeit derselben kann kein Anspruch erhoben werden, da in der Hauptsache nur das Stadtarchiv benützt werden konnte. Bei Durchsicht der bisher zur Kunstgeschichte der Eisenstadt veröffentlichten Aufsätze fällt auf, dass nur in ganz wenigen Fällen die städtischen Quellen ausgewertet wurden. Die mühevolle Archivarbeit aber hätte sich gelohnt. Das zusammengetragene Material besitzt natürlich größtenteils nur lokale Bedeutung, es zeigt aber auch, dass Steyr schon am Ausgang des Mittelalters im Kunstschaffen des Alpenvorlandes westlich und östlich der Enns eine beachtenswerte Rolle spielte.

 

Die romanische Zeit

Der romanische Stil beherrschte das Kunstschaffen des Abendlandes in der Zeit von 1000 bis um 1270. In dieser Epoche konnte Österreich unter der Herrschaft der Babenberger (976 -1246) erstmalig seine Macht selbständig entfalten. So wurde die nach der Lechfeldschlacht (955) errichtete Markgrafschaft im Osten („Ostarichi“) 1156 zum Herzogtum erhoben und 1192 durch die Angliederung der Steiermark gewaltig vergrößert.

Parallel mit dem politischen Aufstieg vollzog sich in unserer Heimat die Entwicklung der bildenden Künste, deren Wurzeln zurückgreifen in das Keltisch-Romanische, in das Bayrische und Slawische. Wenn in Österreich, im Herzland Europas am Schnittpunkt wichtiger Verkehrswege, fremde Kräfte aus Süd und West das bodenständige Kunstschaffen schon in der Zeit der Romanik beeinflussten, so darf uns das nicht überraschen.1)

In die Babenbergerzeit fallen auch die Anfänge der Stadt Steyr. Aus diesen Jahrhunderten stammen die ersten Nachrichten über die Styraburg und über die Siedlung am Fuß des Burgfelsens, aus der sich unsere Stadt entwickelte.

Die erste Erwähnung der Styraburg findet sich im ältesten Traditionsbuch des Hochstiftes Passau, das über die Synoden des Bischofes Pilgrim berichtet. Nach der Niederlage der Ungarn bei Augsburg suchte Pilgrim die alten kirchlichen Zehentrechte auf den Synoden zu Mistelbach bei Wels, zu Lorch und Mautern wieder zu ordnen. Im Bericht über die Mistelbacher Versammlung, die nach M. Heuwieser um 985 stattgefunden haben soll,2) wird neben anderen Orten auch die „Styrapurhc“ genannt. Sie hatte wie Garsten und mehrere Siedlungen an der unteren Steyr an die Kirche zu Sierning den Zehent zu. entrichten.

Schon gegen Ende des 10. Jahrhunderts war die ausgedehnte Burgherrschaft Steyr im Besitz des aus dem Chiemgau stammenden Grafengeschlechtes der Otakare. Um 1050 übertrug der Kaiser dem Grafen Otakar I. die Leitung der an der Mur gelegenen Kärntnermark. Durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu den einflussreichsten Familien des Reiches und zu den Babenbergern sowie durch große Erbschaften konnten sie ihren Eigenbesitz beträchtlich vergrößern, besonders in der Ober- und Mittelsteiermark. In kirchlicher Hinsicht wurde das Markgrafengeschlecht für unser Gebiet auch durch die Gründung der Benediktiner-Abtei Garsten bedeutsam.

Die Dienstmannen der Otakare, die dem rittermäßigen Adel angehörten, bewohnten Häuser in der Nähe der Burg, und zwar im Raum der Hofgasse (nördliche Berggasse) und der unteren Enge. Aus dieser nur wenige Gebäude umfassenden Siedlung erwuchs die Handelsstadt der Otakare, die sich später weiter gegen Süden ausdehnte. Wie das Stadtrecht vom 23. August 1287 andeutet, dürfte Steyr schon im 12. Jahrhundert wichtige Eisenhandelsprivilegien besessen haben. Nach dem Erlöschen des Markgrafengeschlechtes (1192) blieben diese Vorrechte auch weiterhin der Stadt erhalten, was vermutlich dem hier sesshaft gewordenen Adel („Gemein der Ritter“) zugeschrieben werden mag, der durch seine Beziehungen zu den Babenbergern, denen nun die Herrschaft Steyr gehörte, ein Abgleiten des Eisenhandels an die hierfür günstiger gelegene Handelsstadt Enns zu verhindern wusste. Gleich anderen österreichischen Städten dürfte unsere Stadt im 13. Jahrhundert durch die Babenberger, die mehrmals auf der Styraburg amtierten, eine Erweiterung der städtischen Machtbefugnisse erfahren haben. Steyr erscheint daher in Urkunden aus dem 12. und 13. Jahrhundert schon als Stadtsiedlung: 1170 findet sich die Bezeichnung „urbs“, 1252 „civitas“.

Mit dem Ende der Babenberger-Herrschaft (1246) begannen für die aufstrebende Stadt düstere Zeiten. Bis zum Jahre 1252 unterstand sie Dietmar von Steyr, wurde anschließend von den Truppen des Böhmenkönigs Ottokar besetzt und 1276 mit anderen obderennsischen Städten an den Bayernherzog Heinrich verpfändet. Erst nach dem Sieg Rudolfs von Habsburg über Ottokar (1278) konnten die verpfändeten Gebiete wieder eingelöst werden.3)

 

Während im benachbarten Benediktinerkloster Seitenstetten aus der romanischen Kunstepoche noch ein bemerkenswertes Bauwerk erhalten geblieben ist, müssen wir uns im Raum von Steyr mit „Kernmauern“ begnügen. Vielfach wurden schon in der gotischen Zeit Gebäude „verrestauriert“ oder abgetragen und durch neue ersetzt. Kriegsereignisse und Stadtbrände haben außerdem fast alles zerstört, was in der Zeit der Romanik in Steyr geschaffen wurde. Verheerend dürfte sich die in Ennsdorf ausgebrochene Feuersbrunst vom 27. Februar 1302 ausgewirkt haben, die auf die Stadt übergreifend Burg und Pfarrkirche schwer beschädigte.4)

So verbleiben von den mittelalterlichen Bauten der Eisenstadt, die noch mit der Romanik in Beziehung gebracht werden können, nur die Styraburg, das Bürgerspital, die Stadtpfarrkirche und einige Bürgerhäuser, in der Umgebung die Stiftskirchen Gleink, Garsten und Seitenstetten.

Die Styraburg ist ein mittelalterliches Bauwerk, dessen Südwesttrakt mit dem gewaltigen Bergfried, im Volksmund „Römerturin“ genannt, wohl das älteste Gebäude im Stadtbereich darstellt. Wir kennen nicht die älteste Baugeschichte, doch hat das mächtige Geschlecht der Otakare, das hier bis 1122 dauernd residierte,5) jedenfalls bauliche Veränderungen vornehmen lassen, die romanischen Charakter trugen. Bis heute aber sind solche Überbleibsel nicht zum Vorschein gekommen. Sicher ist, dass die Burg im 10. Jahrhundert aufgeführt wurde. Als Erbauer wird Graf Otakar I., der 904 den Gau Leoben innehatte, angesehen.6) Nach der Niederlage der Bayern bei Preßburg im Jahre 907 begrenzte die Enns den ungarischen Machtbereich gegen Westen.7) Vermutlich wurde aus diesem Grund auf dem Burgfelsen an der Mündung der Steyr in die Enns eine Befestigungsanlage errichtet, die nach der Schlacht auf dem Lechfeld zur Burg ausgebaut wurde. In kirchlicher Hinsicht gehörte sie, wie schon erwähnt, zur Pfarre Sierning. Die Burgkapelle soll sich, wie F. Berndt annimmt, im ersten Stock des Südwesttraktes befunden haben.8)

Die erste urkundliche Erwähnung des Bürgerspitals erfolgt anlässlich einer Stiftung. Um 1180 überließ Wezilo de Styre ein Haus den Johannitern,9) die damals das Spital betreuten.10) Am linken Ufer der Steyr soll um diese Zeit in der Nähe der Brücke eine Mühle bestanden haben.11) Schon durch das Lateranense III. (1179) wurde die Errichtung von Kirchen bei Spitälern besonders empfohlen.12) Wenn sich nun sonderbarerweise bis um 1300 keine Quellen finden, die über das Bürgerspital in Steyr berichten, so wäre doch der Bestand einer schlichten, mit Holzdecke und Säulenabstützung ausgestatteten Spitalskapelle, die vielleicht auch profanen Zwecken diente,13) nicht ganz von der Hand zu weisen. Die gegenwärtig noch im Bürgerspital befindliche „Gmoastnbn“,14) die Zweischiffigkeit der ehemaligen Spitalskirche (Vorstadtpfarrhof) und der Vorhalle (Eingangshalle) würden auf eine Holzausstattung hindeuten.15) Da nach V. Preuenhueber schon zur Zeit der Otakare Steyr „eine ziemliche Stadt“ war,16) in der wahrscheinlich als Baumaterial für größere Gebäude nicht mehr ausschließlich Holz verwendet wurde, wäre es möglich, dass die Kapelle bereits im 13. Jahrhundert an der Stelle der heutigen Eingangshalle als Steinbau (mit Holzdecke) aufgeführt wurde. Das Vorhandensein eines Chorturmes lässt sich nicht nachweisen. Man ist zwar versucht, auf die Lage des Turmes der gotischen Spitalskirche hinzuweisen und die ähnlich gestaltete romanische Bürgerspitalskirche in Enns17) sowie die einem solchen Typus angehörenden Gotteshäuser in der zu Steyr in engster Beziehung stehenden Steiermark18) zum Vergleich heranzuziehen. Aber diese Beispiele sind nicht beweiskräftig und erklären nicht den ursprünglichen Bauzustand.

Die früher herrschende Ansicht,19) die Eingangshalle in ihrer gegenwärtigen Gestalt stamme aus der romanischen Zeit, wird heute von den Kunsthistorikern abgelehnt. Die nach den unruhigen Zeitläufen des 13. Jahrhunderts notwendig gewordene Neustiftung des Spitals durch Königin Elisabeth20) um 1304 führte jedenfalls zu Neu- und Umbauten, die der Gotik zuzuweisen sind.

Um die Eingangshalle gruppieren sich südlich und westlich die ebenerdigen Räume des Spitals. Das stellenweise sehr massive Bauwerk enthält vermutlich romanische Kernmauern.

Die älteste Baugeschichte des Bürgerspitals wird nach wie vor ein Problem darstellen, das möglicherweise nur durch kostspielige Freilegungen gelöst werden könnte.

Der Bau einer Kirche in der Stadt fällt in das 13. Jahrhundert. Um 1250 dürfte Steyr schon eine selbständige Pfarre gewesen sein.21) Erstmals wird die dem heiligen Ägidius (Sankt Gilgen)22) und dem heiligen Koloman geweihte Stadtpfarrkirche in einem Konflikt zwischen dem Pfarrer zu Sindelburg und dem Abt von Seitenstetten im Jahre 1275 genannt.23) Ihren Bestand bezeugt ferner ein Ablass- oder Indulgenzbrief des Papstes Honorius IV. aus dem Jahre 1287.24)

Durch den Brand des Jahres 1302 wurde diese Kirche fast zerstört. Nach ihrem Wiederaufbau war sie, wie aus Stiftungen zu ersehen ist, mit einer Orgel25) und einer Emporekirche, auf der sich drei Altäre befanden,26) ausgestattet. Im Jahre 1404 stifteten die Eheleute Hans und Katharina Kammerhuber drei Güter in Aichet für ein ewiges Licht vor „Unserer Frauen Altar“ und eines vor dem „Heiligen-Drei-König-Altar“.27) Nicht bekannt ist der Titelheilige des dritten Altares.28)

Die äußere Gestalt des Gotteshauses zeigt uns zum Teil eine aus der Zeit um 1470 stammende Ansicht der Stadt Steyr in der Weltchronik von Hartmann Schedel (1493). Das Chorhaupt der Kirche ist schon gotisch ausgebaut, Turm und Langhaus lassen die spätromanische Bauweise erkennen.29)

Bauteile der alten Kirche dürften sich noch in den Grüften feststellen lassen. Vielleicht stammt aus diesem Gotteshaus auch der eigenartige Torbeschlag am kleinen Südportal der Stadtpfarrkirche. Während das untere Torband zu einem Baumstamm mit Astansätzen ausgeschmiedet ist, zeigt das obere eine Drachengestalt am Fuß eines Strunkes, ein Vogel und ein Apfel befinden sich am Ende desselben. O. Kästner sieht in diesem Beschlag einen Yggdrasilbaum und weist ihn der Gotik zu.30) Aber erinnert diese Darstellung nicht auch an Lindwurmgestalten an romanischen Bauten wie z. B. am Portal der St. Peterskirche in Straubing oder am Schottentor in Regensburg? Es hat auch den Anschein, als ob die Astansätze nur mehr Reste spiralenartiger Äste wären, die wie der Stamm bei neuerlicher Verwendung gekürzt wurden.

Überaus bescheiden sind die Reste romanischer Bauweise in den Häusern der Bürger. Im ältesten Stadtteil, in der Enge, lassen einige Gebäude eine vorgotische Anlage vermuten, so die Häuser Enge Nr. 8, 10 und 12. Im Haus Enge Nr. 8 zeigt der südseitige Teil romanische Spuren.31) Anlässlich der Restaurierung des ehemaligen Messerer-Zechhauses, Kirchengasse Nr. 1, im Jahre 1954, wurde in demselben ein romanischer Bogen frei gelegt.32) Die von F. Berndt der Romanik zugeordneten fünf Säulen im alten Stadtbad, Stadtplatz Nr. 37, sind meines Erachtens der Renaissance zuzuschreiben.33)

Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei Bau- und Renovierungsarbeiten noch romanische Relikte zum Vorschein kommen. Eine erhebliche Ausbeute aber kann nicht erwartet werden. Die im 14. und 15. Jahrhundert zu großer Wohlhabenheit gelangte Bürgerschaft hat, wie schon hingewiesen, mit den alten Bauten aufgeräumt.

Tritt also im alten Stadtgebiet von Steyr heute die Romanik kaum in Erscheinung, so finden sich noch Überbleibsel dieser Kunstrichtung in der ehemaligen Klosterkirche Gleink. Die Gründung dieser und anderer Benediktiner-Abteien entsprach dem vom burgundischen Kloster Cluny und vom Schwarzwaldkloster St. Blasien ausgehenden asketischen Geist des 11. Jahrhunderts. Verkünder dieses Geistes war im Ostalpenraum Bischof Altmann von Passau (1065 1091).34) Es ist begreiflich, dass die religiösen Erneuerungsideen auch den Kirchenbau wesentlich beeinflussten und förderten. Häufig zitiert findet man in der Kunstliteratur folgende Stelle aus der Lebensbeschreibung Altmanns, die dessen Bemühungen um den Bau der Gotteshäuser erkennen lässt: „Vor seiner Ankunft waren fast alle Kirchen jenes Bistums aus Holz und schmucklos, allerdings waren auch deren Priester, wenn ich so sagen darf, „hölzern“, weil sie, in Ehen und weltliche Geschäfte verstrickt, des Gottesdienstes völlig unkundig waren. Statt des Kanons lasen sie „Miserere mei Deus“, statt der Leidensgeschichte „Attendite“. Jetzt aber sind durch seinen Eifer fast alle Kirchen im Bistum aus Stein, mit Büchern versehen und mit Bildern oder Zierrat geschmückt und, was das Wichtigste ist, mit sittenstrengen und gebildeten Männern gut besetzt.“35)

Die erste urkundliche Erwähnung der Pfarre Gleink findet sich 1111 in einer Bestätigungsurkunde des Klosters St. Florian.36) Um diese Zeit ließ Arnhalm I. von Glunich (Gleink) seine Burg, die auf dem Grund des Babenberger Bischofs stand, in ein Benediktinerkloster umgestalten. Sein Sohn Bruno brachte um 1120 die Stiftung zum Abschluss.37)

In der ehemaligen Klosterkirche (heute Pfarrkirche), geweiht dem hl. Andreas, wurden 1123 zwei Altäre konsekriert.38) Die Weihe der Kirche erfolgte im Jahre 1273. Drei Jahre später zerstörte ein Brand Kirche und Kloster.39)

Bauteile des romanischen Gotteshauses stecken jedenfalls noch bis zum östlichen Mittelschiffjoch im heutigen Mauerwerk des basilikalen Langhauses. Der Westturm zeigt einen quadratischen Grundriss. Ob sich in ihm noch Kernmauern aus der ersten Erbauungszeit vorfinden, ist nicht nachgewiesen.40)

Das Eingangstor schmücken zwei romanische Türzieher aus Bronze. Es sind Löwenköpfe, die nach W. Mrazek „wohl die gleiche symbolische Funktion erfüllen wie die Portallöwen an den großen romanischen Kathedralen“.41) Löwengestalten gelangten schon zur Zeit der ausklingenden Langobardenherrschaft wahrscheinlich durch Bautrupps aus Como („Comasken“), die bis nach Bayern und an den Rhein kamen, in unsere oberösterreichische Heimat.42)

Das Gleinker Kloster war im Mittelalter offenbar auch eine Pflegestätte der Buchmalerei. Um 1300 ersuchte nämlich der „Maler von Gleink“ den Prior und Kustos des Stiftes Kremsmünster Hertwik von Schlüsselberg um Überlassung von Gold und Farben.43) Die Linzer Studienbibliothek verwahrt ein aus Gleink stammendes Evangeliar.44) Ob es auch dort entstanden ist, lässt sich nicht sicher Nachweisen. Da aber anderswo Parallelstücke fehlen, darf Gleink als Entstehungsort angesehen werden. Die Handschrift (178 Blatt, 282 x 202 mm) enthält eine Darstellung der Geburt Christi, drei bayrischen Einfluss (Freising, Tegernsee) zeigende Evangelistenbilder, die Kanon-Tafeln und vier ganzseitige und 18 kleine Initialen in Gold, Silber, Gelb und Blau.45) Aus Gleink kam in die Studienbibliothek Linz auch ein Brevier,46) das zehn vorzügliche Initialen des 12. Jahrhunderts enthält. Diese Handschrift dürfte jedoch der Malerschule des Klosters Lambach zugesprochen werden.47)

In diesem Zusammenhang sei auch kurz auf die romanischen Denkmäler in der ehemaligen Klosterkirche Garsten hingewiesen. In die der Stadt Steyr benachbarte Abtei kamen um 1107 Benediktiner aus der Altmann-Stiftung Göttweig. 48) Die ursprüngliche Garstener Stiftskirche, erbaut um 1080, war daher ein der Hirsauer Bautradition49) zugehörendes Werk, bestehend aus zwei Seitenschiffen und einem überhöhten Mittelschiff mit flacher Holzdecke.50) Im Jahre 1219 wurde die Abtei durch eine Brandkatastrophe schwer getroffen. Aber infolge ungünstiger Zeitumstände konnte der Neubau, der Klosterkirche, geweiht der hl. Muttergottes, erst um 1280 in Angriff genommen werden.51) Sicherlich wurden hierbei die romanischen Mauern beibehalten.52) Noch Wolfgang Lindner, der in seinen Annalen ausführlich über die frühbarocke Umgestaltung der querschifflosen gotischen Pfeilerbasilika im Jahre 1616 unter Abt Anton berichtet, deutet die romanische Bauart an, wenn er bemerkt, dass von den drei Gewölben der Kirche das mittlere die anderen zwei überrage.53)

Der in der Zeit von 1678 bis 1693 durchgeführte Bau der barocken Abteikirche beseitigte restlos das romanische beziehungsweise gotische Gotteshaus. Aus der spätromanischen Kunstepoche sind lediglich erhalten geblieben zwei Grabsteine in der Losensteiner Kapelle54), die allerdings auch schon gotische Stilmerkmale aufweisen und die in einem reichgeschnitzten Rokoko-Schrein, eine Arbeit des Florianer Bildhauers Johann Jakob Sattler (1768), befindliche hochromanische „Wunderbare Muttergottes“. Nach J. Perndl ist diese aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammende Sitzfigur neben der „Rieder Kreuzigung“ im Oberösterreichischen Landesmuseum (Schloss)55) die älteste Holzplastik des Landes ob der Enns. Nach einer 1565 in bilderstürmerischer Absicht begangenen Verunstaltung wurde das seltene Schnitzwerk einer weitgehenden Überarbeitung unterzogen und mit einem neuen Holzmantel ausgestattet. Laut Signatur F. W. 1784 stammt die prächtige Fassung von Franz Widmann, Goldfasser zu Steyr.56) Die Rückseite der Skulptur zeigt zwei Stifterfiguren, Brandspuren und Bemalungsreste.57)

Im Stift Garsten bestand schon am Ausgang des 12. Jahrhunderts ein „blühendes“ Skriptorium.58) Leider erfolgte bei Aushebung des Klosters unter Kaiser Josef II. eine arge Zersplitterung des wertvollen Handschriftenbestandes.59) Zu den bedeutendsten Werken der romanischen Buchmalerei dieser Abtei gehört ein Missale, das 307 Initialen und ein künstlerisch hochstehendes Kanonbild, eine Kreuzigung, enthält.60) Ein zweites Missale schmücken 67 in Gelb und Rot gehaltene Initialen. Das vorzügliche Kanonbild stellt auf blauem und grünem Grunde den Gekreuzigten sowie die Muttergottes und den hl. Johannes dar.61) Beide Handschriften entstanden offensichtlich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts.62)

Schließlich sei erwähnt, dass auch das Kloster Seitenstetten eine von Göttweig ausgehende Gründung darstellt. Die von 1112 bis 1116 erbaute Stiftskirche weihte der Passauer Bischof Ulrich.63) Im heutigen Gebäudekomplex des Stiftes ist die aus dem 12. Jahrhundert stammende, 1254 bis 1261 spätromanisch gestaltete Marienkapelle (Ritterkapelle) bemerkenswert. Der einschiffige Kapellenraum, der im Westen ein zweimal abgetrepptes Tor mit Wandsäulchen und Knospenkapitelle besitzt, wird durch zwei Wandsäulen, deren Würfelkapitelle Menschenköpfe und Rankenwerk zeigen, in zwei quadratische Joche geteilt und durch eine halbkreisförmige Apsis abgeschlossen. Die Außenseite der Apsis, geziert mit einem Rundbogenfries, ist durch fünf romanische Fenster und ebenso viele Blendarkaden auf Halbsäulen gegliedert.64) Unter den noch erhaltenen Bauwerken der romanischen Kunstepoche nimmt die Seitenstettner Marienkapelle im Raume von Steyr zweifellos den ersten Rang ein. (Fortsetzung folgt)

 

  1. K. Donin, Die romanische Baukunst in Österreich. Festschrift Richard Kurt Donin (1951), S. 99—126. — Ders., Romanische Portale in Niederösterreich. Jahrbuch d. Kunsthistor. Institutes d. k.k. Zentralkommission f. Denkmalpflege. Bd. IX (1915), S. 10 f.
  2. Ferihumer, Erläuterungen z. Histor. Atlas d. österr. Alpenländer. 7. Teil, 0. -Ö. (1956), S. 429. M. Heuwieser, Die Traditionen b. Hochstiftes Passau (1930). J. Zibermayr (Noricum, Baiern u. Österreich. 1944, S. 335) ist der Ansicht, dass die Synoden schon bald nach dem Regierungsantritt Pilgrims (971) stattgefunden haben. A. Hoffmann (Österreich u. das Land ob der Enns. OO. Heimatblätter, Jg. 1 (1947, Heft 1, S. 30) gibt für die Mistelbacher Synode 977 an.
  3. Bancsa. Geschichte Nieder- u. Oberösterreichs, Bd. 1 (1905), S. 546. J. Ofner, Die Eisenstadt Steyr (1956), S. 12—19.
  4. Preuenhueber, Annales Styrenses (1740), S 368 (Castrum Styrense, Das ist: Historische kurtze Beschreibung des uhralten Schloß oder Burg Steher. Regensburg 1631).
  5. Lenzenweger, Garsten in Beziehung zu seinen Nachbarorten. In: Garsten bei Steyr, Oberösterreich (1959), S. 24.
  6. Zauner, Oberösterreich zur Babenbergerzeit. Mitteilungen des O.Ö. Landesarchivs, Bd. 7 (1960), S. 222.
  7. Ebenda, S. 216.
  8. Berndt, Auf den Spuren der Steyrer Burgkapelle. Zum Feierabend. Beilage der Steyrer Zeitung v. 25. Juli 1957.
  9. Der Johanniterorden entfaltete seine Tätigkeit in der Zeit der Kreuzzüge und widmete sich u. a. der Beherbergung u. Pflege der Jerusalempilger. Die durch die Kreuzfahrer hergestellten Beziehungen Österreichs zu Palästina hatten zur Folge, dass die Johanniter schon vor 1156 in den Besitz von Mailberg (N.Ö.) gelangten und später Besitzungen in der Steiermark, in Kärnten u. Vorarlberg erwerben konnten. Th. Tupetz, Allg. u. österr. Geschichte (1912), S. 227 f. — Mayer-Kaindl—H. Pirchegger, Geschichte u. Kulturleben Österreichs, Bd. 1 (1958), S. 248. M. Bancsa, a. a. O., S. 331.
  10. Codex Traditionum Monasterii Garstensis/CLXXXIX, abgedr. O.Ö. Urkundenbuch, Bd. 1 (1852), S 179.
  11. Rolleder, Heimatkunde von Steyr (1894), S. 186.
  12. Lenzenweger, Die Entwicklung des Pfarrnetzes der Benediktinerabtei Garsten. (Unter besonderer Berücksichtigung der Stadtpfarre Steyr). Theolog. Dissertation Wien (1939), Maschinschrift, S 245.
  13. Geistlichen u. weltlichen Zwecken diente auch ursprünglich die Georgskapelle in Wien. W. Buchowiecki, Die gotischen Kirchen Österreichs (1952), S. 19.
  14. Die „Gmoastubn“ ist ein Gemeinschaftsraum, dessen Holzdecke zwei Holzsäulen stützen.
  15. R. Donin, Weg u, Entwicklung der gotischen Baukunst in Niederösterreich. Festschrift R. K. Donin (1951), S. 168. — W. Buchowiecki, a. a. O., S. 44 f.
  16. Preuenhueber, a. a. O., S. 13.
  17. Baldaß, Buchowiecki, Mrazek, Romanische Kunst in Österreich (1962), S. 12.
  18. Bruck a. d. M., Edelschrott, Fohnsdorf, Gaal, Niederwölz, St. Georgen ob Judenburg u. a. Baldaß, Buchowiecki, Mrazek, a. a. O., S. 12.
  19. Riewel, Das Bürgerspital in Steyr. Mitteilungen d. Central-Commission (1868).
  20. Gemahlin Albrechts I. (deutscher König 1298 — 1308).
  21. Lenzenweger, a. a. O., S 262.
  22. In alten Bauernkalendern aus Holz findet sich beim Tag des hl. Ägidius (1. September) die Darstellung einer Lilie, die man auch Gilge oder Gilgen nannte. Sie wurde zur Bilderschrift für den hl. Ägidius. R. Schindler, Die mißverstandene Bilderschrift. Linzer Volksblatt v. 28. 2. 1958, Nr. 49.
  23. Lenzenweger, a. a. O., S. 232 f.
  24. Preuenhueber, a. a. O., S. 96.
  25. In dem 1398 von der Stadt Steyr der Katharina Tungössinger über einen gestifteten Jahrtag ausgestellten Revers wird der Kalkant erwähnt: „… die auf den Palgen zu der Orgen plasent 6 d“ (d = Pfennig). Stadtarchiv Steyr, Fasz. Gottesdienst-Stiftungen 1364—1779, Kasten XI, Lade 34, Nr. 9).
  26. Stift- u. Reversbrief d. Abtes Florian u. d. ganzen Konvents zu Garsten aus d. Jahre 1404. „Eine ewige tägliche Meß auff einen der 3 Altar auff d(er) Porkirchen in hieriger S. Aegidi und Colma Phorkirchen“. Stadtarchiv Steyr, Fasz. Pfarrkirche 1601—1651, Kasten XI, Lade 26, Nr. 108: „Register über die Pfarrkirchen S. Ägidi et Colomani zu Steyr briefliche Urkunden, Gab- und Stiftbrief 1621“.
  27. Berndt, Die alte romanische Stadtpfarrkirche von Steyr. Steyrer Zeitung. Unterhaltungsbeilage, 1958, Nr. 39.
  28. Lenzenweger, a. a. D., S. 236.
  29. Ofner, Eine Ansicht der Stadt Steyr aus dem Mittelalter? Amtsblatt der Stadt Steyr, Jg. 4, Nr. 9 v. 1.9.1961. S. 139—141.
  30. Kastner, Eisenkunst im Lande ob der Enns (1961), S. 41, 153.
  31. Ehler. Bauaufnahmen: Häuser Enge Nr. 10—16. Veröffentlichungen des Kulturamtes d. Stadt Steyr. Helft 17 (November 1957), S. 51. — Ders., Bauaufnahmen: Häuser Enge Nr. 2—8. Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr. Heft 16. (Dezember 1956), S 28.
  32. Krobath, Bemerkenswerte Bauten der Altstadt Steyrs (Stadtplatz. Enge) und ihre Besitzer. Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr. Heft 16 Dezember 1956), S. 28.
  33. Berndt, Akte Badstuben in Steyr. Steyrer Zeitung, Unterhaltungsbeilage Nr. 20 (1953), S. 3.
  34. Fraß, Die Zeit der Babenberger, Geschichte Österreichs in Einzeldarstellungen (1946), S 23. — J. Lenzenweger, Berthold — Abt von Garsten (1958), S. 23. L. Arthofer, Geschichte van Garsten (o. J.), S. 18.
  35. Buchowiecki, Die gotischen Kirchen Österreichs (1952), S. 454, Vita Altmanni episcopi Patav. Hrsg. v. W. Wattenbach, in: Mon. Germ, hist. SS. XII (1856).
  36. Rolleder, a. a. O., S. 373.
  37. Sekker, Burgen und Schlösser, Städte und Klöster Oberösterreichs (1925), S. 94. — Die Stiftungsurkunde stammt aus dem Jahre 1125. Dehio. Die Kunstdenkmäler Österreichs. E. Harnisch Oberösterreich (1958), S 89. — Der erste Abt war Ulrich, er kam aus dem Kloster Garsten. J. Lenzenweger, Berthold, Abt von Garsten (1958), S. 45.
  38. a. a. O., S. 89. — Nach Pritz konsekrierte Ekbert, Bischof von Bamberg, den Altar der hl. Magdalena und des hl. Nikolaus im April 1223. F. X. Pritz, Beschreibung u. Geschichte der Stadt Steyer u. ihrer nächsten Umgebung (1837). Beilage IV, S. 460.
  39. a. a. O., S. 89.
  40. Ebenda, S. 90.
  41. Baldaß, Buchowiecki. Mrazek, a. a O., S. 99.
  42. Kastner, a. a. O., S. 30. —H. Decker, Italia Romanica (1958), S. 13, 47.
  43. Holter, Hertwik von Schlüsselberg und die Welser Glasfenster. O.Ö. Heimatblätter, Jg. 6 (1952), Heft 4, S. 551 f.
  44. Linz, Studienbibliothek, Codex 415.
  45. Holter. Die romanische Buchmalerei in Oberösterreich. Jahrbuch des oö. Musealvereines. Bd. 101 (1956), S. 234 ff.
  46. Linz, Studienbibliothek, Codex 290 (518 Blatt, Format 240 X 160 mm).
  47. Holter, a. a. O., S. 230 f.
  48. Lenzenweger, Berthold, Abt von Garsten, S. 17.
  49. „Cluniazensischen Geist vermittelte für den deutschen Kulturbereich das schon seit dem 9. Jahrhundert bestehende Kloster Hiersau“. Baldaß, Buchowiecki, Mrazek, a. a. O., S. 17.
  50. Perndl, Die Pfarrkirche von Garsten (o. J., Verlag Schnell & Steiner, München), S. 3. — Ders., Die Stiftskirche von Garsten (Sonderdruck aus dem Jahresbericht des Kollegium Petrinum 1962/63), S. 5.
  51. Perndl, Stiftskirche Garsten, a. a. O., S. 8 f.
  52. Ebenda, S. 9.
  53. Schiffmann, Die Annalen des Wolfgang Lindner (15-90—1622). Archiv für die Geschichte der Diözese Linz. Jg. VI u. VII (1910), S. 289.
  54. Mitteilung des Herrn Kustos A. Bodingbauer, Steyr.
  55. Kreuzigungsrelief aus Ried bei Kremsmünster (Holzplastik, Mitte des 11. Jahrhunderts. B. Ulm, Mittelalterliche Kunst im oberösterreichischen Landesmuseum. Festkatalog: Das Museum im Linzer Schloss (1963), S. 102.
  56. Der Maler u. Goldfasser Franz Widmann (Widtmann, Wittmann) erwarb am 14.6.1771 in Steyr das Bürgerrecht und legte am 20.10.1772 den Bürgereid ab I. Schroff, Annalen, Regesten aus dem Steyrer Stadtarchiv. Hs., Bd. 6, S. 871, 873. Stadtarchiv Steyr, Kasten XI Lade 43.
  57. Perndl, Pfarrkirche Garsten, S. 7. — Ders., Stiftskirche Garsten, S. 11, 38. Im Handbuch d. Kunstdenkmäler Österreichs v. Dehio, Oberösterreich (1958), S. 84, wird die „Wunderbare Muttergottes“ als frühgotisches Werk bezeichnet.
  58. Lenzenweger, Berthold, Abt von Garsten, S. 172.
  59. Hittmair, Der Josefinische Klostersturm (1907), S. 310.
  60. Linz, Studienbibliothek, Kob. 466.
  61. Linz, Studienbibliothek, Kob. 286.
  62. Holter, Romanische Buchmalerei, a. a. O., S. 231 — 234.
  63. „Sie hat die klare Umrißdiktion von Gurk bereits im zweiten Dezennium des 12. Jhs. erreicht.“ R. Pühringer, Früh- und hochromanische Baukunst in Österreich. Akademie d. Wissenschaften in Wien. Phil.-hist. Klasse, Denkschriften, 70. Bd., 1. Abhandlung (1931), S, 89. — Baldaß, Buchowiecki, Mrazek, a, a. O., S. 19.
  64. Dehio, Handbuch der Kunstdenkmäler Österreichs, R. K. Donin, Niederösterreich (1953), S. 320. — Reclams Kunstführer, Österreich, Bd. I (1961), S. 421 f. — Natürlich wurde auch die Buchmalerei in dieser Abtei schon in der Zeit der Romanik geübt. Ein Seitenstettner Evangeliar, entstanden um 1247, gelangte in die Pierpont Morgan Library in New York. Baldaß, Buchowiecki, Mrazek, a. a. O., S. 82.

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 24, Dezember 1963

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