Volkssagen aus Steyr

Von Franz Harrer

 

Die unheimliche Begegnung

Ein Bauer in der Steyrer Gegend ging gerne Kartenspielen in die Nachbarschaft. Da sein Haus etwas abseits und einsam lag, musste er, wenn er zu einem seiner Nachbarn wollte, einen längeren Weg zurücklegen. An einem Heilig-Dreikönigs-Abend ging er wieder spielen. Als er um Mitternacht heimging, begegnete ihm auf halbem Wege ein unheimlicher Mann, der einen rauen Baumast als Gehstock benützte. Der Bauer wich dem Manne scheu aus und wollte ihn vorübergehen lassen. Doch dieser blieb alsogleich stehen, stieß grimmig seinen unförmlichen Stock seitwärts in den Schnee und sagte mit tiefer, brummender Stimme: „Muaß i den Krebn da einistöcka“. Von diesem Augenblick an war der Bauer, der Zeit seines Lebens ein feines Gehör gehabt hatte, „stockterrisch“. Er ging zu den Ärzten und tat sonst alles, was man ihm riet, damit er wieder sein gutes Gehör bekäme. Doch es half alles nichts, er war und blieb stocktaub. Da riet man ihm, er solle in der nächsten Heilig-Drei-Königs-Nacht, zu der gleichen Stunde wie im Vorjahre, denselben Weg gehen, dem Manne aber, wenn er ihm begegnen sollte, ja nicht „umstehen“, das heißt, nicht ausweichen. Der Bauer tat, wie ihm geraten wurde. Richtig begegnete ihm wieder dieser merkwürdige Mann. Als der Bauer ihm nicht aus dem Wege ging, griff dieser grimmig und brummend nach seinem rauen Baumast, der wieder seitwärts im Schnee stak und sagte: „Muaß i den Krebn wieder außaziagn.“ Von diesem Augenblick an war der Bauer von seiner Taubheit geheilt und fein Gehör wieder so scharf wie ehedem.

 

Der eingemauerte Silberschatz

Zum Wirtshaus in der Steinwänd im Ramingtal gehörte früher auch eine Klingenschmiede, die aber schon lange abgebrochen ist. Sie stand gegenüber dem großen Wirtshaus und der mächtigen tausendjährigen Linde, sie stand an der Straße unweit des Ramingbaches, der hier vorüberrauscht. Von dieser Schmiede geht die Sage, dass unter der Esse einst ein Zwieeimer voll Silbergeld eingemauert war. Vielleicht ist dieser Silberschatz in den gefährlichen Zeiten der Franzosenkriege oder auch schon früherer Kriege dort versteckt und solcherweise dem Zugriff beutelustiger Soldaten entzogen worden. Der damalige Besitzer mag mit Recht angenommen haben, dass die raubsüchtigen Gesellen kaum auf den Gedanken kommen würden, in der unscheinbaren, rußigen Schmiede könnte ein Schatz verborgen sein.

 

Die zwei Liachtln

Das Bauernhaus Pichler in Lahrndorf, Gemeinde Garsten, liegt auf dem Abhang eines Hügels, das Bauernhaus Zulehner liegt am Fuße dieses Hügels. An diese zwei Bauernhöfe knüpft sich eine Sage, die sich vor langer Zeit abgespielt hat. Auf dem besagten Hange standen Bäume, die alljährlich sehr gute und schöne Äpfel trugen. Diese Äpfel rollten, wenn sie reif waren und von den Bäumen fielen, den Abhang hinunter auf den Grund des Nachbarn Zulehner. Der Zulehner und sein Weib hätten diese Äpfel gar so gern haben mögen; sie konnten sich die Äpfel aber nicht aneignen, weil sie dem Pichler gehörten. Nun setzte der Zulehner junge Bäume vor den Abhang hin, entnahm das Pfropfreis den Bäumen des Nachbarn Pichler, ohne dass dieser davon wusste, und pfropfte es seinen jungen Bäumen auf, damit er die gleichen Äpfel bekäme. Gewöhnlich ziehen Nachbarn unter solchen Umständen immer verschiedene Sorten, damit sie die Frucht leicht auseinander kennen und deswegen nicht in Streit kommen. Als die jungen Bäume tragbar waren, sammelten die Zulehner fleißig ihre Äpfel und die Äpfel des Pichler, die den Abhang herunterrollten. Und sie freuten sich ihres Gewinnes. Im Laufe der Zeit starben der Zulehner und sein Weib. Und alljährlich zur Herbstzeit erschienen immer zwei Lichtlein, die nachts unter den Bäumen herumgaukelten und miteinander wispelten. Die zwei Lichtlein erschreckten die Leute sosehr, dass dort zur Nachtzeit niemand vorübergehen wollte. Die zwei Liachtln waren die Seelen des Zulehner und seines Weibes, die zur Strafe ihrer Habgier an dem Ort ihrer unschönen Tat wandeln mussten, bis sie durch Gebet erlöst wurden.

 

Das Winkelbauern-Kreuz

Dort, wo in der grünen Ebene zwischen den Ortschaften Staning und Asang die Straße sich teilt, steht ein alter, steinerner Bildstock, genannt das Winkelbauern-Kreuz. Die Leute sagen, das Kreuz sei ein Pestkreuz, Hier sollen einst die an der Pest Verstorbenen beerdigt worden fein. An dieses Steinkreuz knüpft sich die Sage, dass bis hieher die Pest gereicht habe. Zum Gedenken daran sei diese Kreuzsäule errichtet worden. Merkwürdigerweise wird das Winkelbauernhaus, zu welchem Haus das Kreuz gehört, auch „Golgengütel“ genannt; was eigentlich, wenn auch sprachlich etwas verändert, auf den Galgen hindeutet.

 

Die Satans-Tanzstatt

Zwischen den zwei alten Ortschaften Stadelkirchen und Thann liegt ein großer Wald, der seit alters her mit dem Namen „Bannholz“ bezeichnet wird. Mitten im Bannholz, dort wo sich die von Stadelkirchen kommende Straße teilt und zwei Straßen bildet, die in verschiedenen Richtungen durch den Wald laufen, befindet sich ein freier, dreieckiger Platz, den der Volksmund „die Satans-Tanzstatt“ nennt. Auf diesem Platz standen früher drei große, mit Bildern geschmückte Holzkreuze; sie waren beschützt von sechs majestätisch aufragenden Fichten. Von diesen drei Kreuzen brachen im Laufe der Zeit zwei nieder, die aber nicht mehr aufgestellt wurden; die Bilder dieser zwei Kreuze nagelte man an das letzte noch stehende Kreuz. Als aber im Jahre 1929 die Holzknechte der Gutsherrschaft Losensteinleiten die großen, stattlichen Fichten fällten und das Holzkreuz nun allein stand und keinen Schutz mehr hatte, wurde auch dieses bald darauf von einem Gewittersturm umgerissen und nicht mehr aufgestellt. Die „Satans-Tanzstatt“, die von vielen grausen Sagen umsponnen ist, war früher eine unheimliche, verrufene Deutlichkeit. So wird erzählt, dass der Teufel hier oft die Leute narrte und in die Irre führte. Eine Sage erzählt, dass der Teufel hier Kohlen dörrte; die Schmiedin in Thann nahm ihm diese in Schaffeln weg, daheim waren sie dann immer Zwanziger. Auf dieser unheimlichen Tanzstatt fuhr um Mitternacht der Teufel hin und her, worauf er dann mit Getöse durch den „Teufelsgraben“ davonjagte. Es heißt, dass bei der „Satans-Tanzstatt“ Türken und Franzosen begraben liegen. Vielleicht sind hier auch Gehenkte verscharrt worden, denn unweit davon stand der Galgen; der Flurname „Galgenweid“ weist darauf hin.

 

Die Ketzergruabn

Am Hange der Polzleite, die ein Teil jener Leite ist, die sich von Asang bei Unterwinkling hinzieht und von der niederen Ennsterrasse zu der höher gelegenen Terrasse emporsteigt, befindet sich, von Sträuchern umwuchert, ein Felsenloch, das allgemein „Ketzergruabn“ genannt wird. Dieses Loch ist die Eingangspforte zu einem unterirdischen Gang, der sich unter den Feldern der höheren Terrasse ungefähr achtzig Schritte weit im Konglomeratgestein bis zum Bauernhause „Stöffel z‘ Edt“ hinzieht, welches Bauernhaus unweit der von Enns nach Steyr führenden Bundesstraße liegt. Bei der „Ketzergruabn“ stoßen die Gründe der zwei großen Bauernhöfe Polz in Asang und Stöffel z‘ Edt zusammen; der so merkwürdig benannte unterirdische Gang gehört aber zum letztgenannten Bauernhöfe. Warum das Felsenloch, das vormaleinst von Wald umgeben gewesen sein mochte, „Ketzergruabn“ heißt, weiß niemand zu sagen; es wird aber angenommen, dass sich einst Ketzer hier aufhielten oder Zuflucht suchten, als sie verfolgt wurden.

 

Die zerstörte Burg

Am Abhang des Damberges, unterhalb der Windlochhöhle, liegen zahlreiche grünbemooste Steine, über die der Fuß des Menschen stolpert, wenn er nach köstlichen Beeren sucht, die in den Schlägen am sonnigen Hang so vortrefflich gedeihen. Eine uralte Sage weiß zu berichten: Vor vielen Jahren ist am äußersten Rand des Damberges, dort, wo das steinerne Maul, „Windloch“ genannt, sich öffnet, eine Burg gestanden. Der Besitzer dieser Burg raubte eines Tages das schöne Weib des Ritters von der Burg Losenstein und entführte es auf seine hochgelegene Feste. Der Losensteiner aber zog mit seinen streitbaren Mannen heran und belagerte die Burg des Räubers. Er nahm sie ein und zerstörte sie; die Steine ließ er den steilen Berg hinabrollen, daher die vielen Steine am Abhang des Berges. Hier liegt die Sage im Widerstreit mit der Historie, die nichts von einer Burg auf dem Rücken des Damberges weiß. Auch Benedikt Pillwein erwähnt 1828 in einem seiner Bücher unser Windloch auf dem Damberg: „Rechts vom Jägerhause auf dem Damberg in der Pfarre St. Ulrich befindet sich ein sogenanntes verwunschenes Schloss das Windloch genannt. Ein kalter Schauer ergreift den Wanderer beim Hinabblicken. Man sieht eine tiefliegende Stiege und hört einen Wasserfall brausen“. Es kann sein, dass das „Windloch“ einst im germanischen Kultdienst eine Rolle gespielt hat.

 

Am Fletzerweg

Über jene sonnige Ebene, auf welcher ein Teil der weitverstreuten Ortschaft Winkling liegt, läuft der sogenannte „Fletzerweg“ (Flößerweg). An diesem Weg liegen, teils einzeln, teils in Gruppen, die Bauernhäuser Krapfer, Brojer, Holzbauer, Angerlbauer, Brandner, Lichtenschein und andere. Am Fletzerweg stehen auch, einige Minuten voneinander entfernt, drei Kreuze, zwei steinerne und ein hölzernes. Das rot angestrichene Holzkreuz gehört zum Rotfuchsengut, eines der zwei alten steinernen Kreuze gehört dem Krapfer, das andere dem Brojer. Das letztgenannte wird „Franzosenkreuz“ genannt, weil dort Franzosen begraben liegen sollen. Mehr oder minder denkwürdige Stätten hat das Volk seit jeher mit dem Kreuz, dem Symbol des Christentums, gekennzeichnet. Es werden auch die drei alten Kreuze am Fletzerweg irgendwie eine Bedeutung haben. Unweit von diesen Kreuzen und ein Stück gleichlaufend mit dem Fletzerweg streicht jene Leite hin, die zu der höher liegenden Terrasse, zur sogenannten „Scheiben“, hinaufsteigt. Ein Teil dieser Leite, und zwar derjenige, der zum Bauernhause Lichtenschein gehört, führt den bedeutsamen Namen „Galgen in Rad-Leiten“ und legt die Vermutung nahe, dass dort oben einst ein Galgen gestanden. — Der Volksmund erzählt geheimnisvoll, dass die grüne Ebene einst ein Schlachtfeld gewesen sei, auf dem vor Zeiten eine große Schlacht stattgefunden Hube. Der Boden, über den der „Fletzerweg“ zieht, mag manches Geheimnis bergen. Der uralte Hügelgräberfriedhof im Holzbanern-Walde und seiner Umgebung ist ein Teil dieses geheimnisvollen Bodens; hier ruhen Menschen, die vor mehr als zweitausend Jahren in den schönen Gefilden an der Enns gelebt und gewirkt haben.

 

Die Kirche in Dietach

Wer von Steyr weg auf der Bundesstraße eine gute Stunde nordwärts wandert, der sieht, wenn er die Ortschaft Dornach erreicht hat und seine Blicke über die kleine Ebene schweifen lässt, am Fuße eines halbbogenförmigen Höhenzuges eine Kirche stehen, deren Turm spitz aufragt. Es ist die alte Kirche von Dietach. Die den heiligen Petrus und Paulus geweihte Kirche ist eine uralte Gründung. Um 1088 wurde die durch Brand zerstörte Kirche neu errichtet und zur Pfarrkirche erhoben. Hinter der Kirche erhebt sich der schöngeformte Goldberg, auf dessen Rücken eine große, schöne, gut fünfhundert Jahre alte, mit Heiligenbildern behangene Linde stand, in die 1937 bei einem Gewittersturm der Blitz einschlug und dem Baum die Krone nahm. Die weithin sichtbare Linde, die dem Wirt zu Dietach gehörte, wurde 1940 gefällt. Zum Gipfel des Goldberges führen Stufen hinauf, von wo aus der Beschauer einen herrlichen Ausblick auf das Gebirge hat. Neben dem Goldberg, durch einen Graben getrennt, erhebt sich sein Nachbar, der Pfaffingerberg, den aber nur alte Leute hie und da so nennen, während er sonst allgemein Pfarrhofberg oder kurz Pfarrberg genannt wird. Die Kirche von Dietach, so erzählt eine alte Sage, sollte auf dem Goldberg erbaut werden. Das Baumaterial, das man tags vorher auf den Berg geschafft hatte, lag am Morgen wieder drunten in der Ebene, am Fuße des Berges. Nun erbaute man sie dort, wo sie heute steht. Die Kirche von Dietach wird geheimnisvoll auch eine „heimliche“ oder „verborgene“ Kirche genannt.

 

 

Franz Harrer
geb.am11.1.1880 in Enns, besuchte dortselbst die Volksschule und kam mit 13 Jahren als Stallbub zu Bauern. Später wurde er Knecht, Teichgräber und Ziegelschläger. Schließlich arbeitete er in Linz und 20 Jahre als Maschinenarbeiter in den Steyr-Werken.

Aus den Veröffentlichungen des Kulturamtes der Stadt Steyr, Heft 14, Dezember 1954

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